Pardubice 2009

Das Pardubice-Phänomen

Das größte Open-Turnier der Welt jährte sich in diesem Jahr zum 20. Mal – Grund genug für die Organisatoren, sich unter Aufmarsch des tschechischen Fernsehens selbst zu feiern und ihren Erfolg mit einem Buch über „Das Pardubice-Phänomen“, geschrieben von GM Movesian und IM Klima, den Teilnehmern für 15 € aufzubinden.
Für die Wilkauer Schachbegeisterten war es allerdings erst der vierte Besuch. Phänomenal ist Pardubice trotzdem immer wieder, denn einige Dinge werden sich wohl nie ändern.

Da wäre gleich zu Beginn die „Autobahn“ von Dresden nach Prag, die ab der tschechischen Grenze beinahe nur noch über die (nicht allzu) beschauliche, tschechische Dorflandschaft und über Brücken, die nur noch zur Hälfte stehen, führt. Gepaart mit dem nicht gerade defensiven Fahrtverhalten tschechischer Autofahrer wird die Ankunft jedes Jahr zu einer Reise, bei der man Blut und Wasser en masse schwitzt. Immerhin haben wir es aber mittlerweile hinbekommen, unsere Fahrtzeit gegenüber dem ersten Besuch mit ca. 4 Stunden auf gut die Hälfte zu verkürzen – und das obwohl sich Pardubice infrastrukturell jedes Jahr zu einer fast uneinnehmbaren Burg wandelt, die alle direkten Zugangsstraßen um sich herum vorsorglich aufreißt und sperrt.

Das Kontingent an Wilkauer Spielern war dafür aber eher dünn in diesem Jahr. Lediglich 11 Mann aus unserem Verein teilten sich (wie immer) mit den Plauenern und ein paar Schachfreunden aus dem Umland ein Hotel. Auch hier blieb also alles beim Alten – wenn auch mit einigen Upgrades: Wurde man früher noch vom Gebell der Hunde aus der Tierpension nebenan geweckt, die zu den schrillen Sirenen pünktlich um 8 Uhr vorbeifahrender Krankenwagen bellen (die wohl auf dem Weg zum Bäcker einfach nicht an der Ampel anhalten wollen), so gesellen sich diesmal noch einige Geräusche dazu: Neuerdings musiziert nachts auch ein Katzenorchester und pünktlich um 6 wird auf einer Baustelle neben dem Hotel angefangen, mit einem großen Container Bauschutt-Basketball zu spielen.

Einem hartgesottenen Wilkauer macht das aber wenig aus. Einerseits, weil es manche dennoch fertig brachten, bis 13 Uhr im Bett liegen zu bleiben, andererseits, weil wir Pardubice trotz allem natürlich lieben. Wie immer war hier nämlich das Bier billiger als Wasser, das Wetter schön, das Essen gut … und natürlich wurde auch einiges an Schach gespielt.

Für eine Überraschung sorgte Michael Völz im D-Turnier, der nach den ersten vier Runden mit 4 Siegen dastand und dabei starke Endspieltechnik demonstrierte:

Stolljarov - Völz
Stellung nach dem 44. Zug; Diagramm aus Sicht des Schwarzen



Schwarz hat nicht nur einen Mehrbauern, er hat seinen Gegner auch die ganze Partie über jedes Gegenspiels beraubt. Der Turm auf der 5. Reihe schneidet den König vom Angriff auf die geschwächten Bauern auf der Damenseite ab, der schwarze König deckt die Einbruchsfelder des Turms auf der d-Linie. Die weit vorgerückte Bauernmehrheit auf der Königsseite tut ihr übriges, um die gegnerischen Kräfte zu binden.

45. Tf2 Tf5! stark gespielt. Schwach wäre die Deckung von der Seite: 42. … Te4+ ?! 43. Kc5! Txa4? 44. c4! und Weiß bekäme ausreichend Gegenspiel. 46. Kd4 Ke6 47. Ke4 f3! 48. gxf3 gxf3 Michael spielt auf Zugzwang. Der Bauer f3 ist wegen des verlorenen Bauernendspiels tabu, der Turm kann nicht von seiner Blockadeposition weichen und dem weißen König gehen bald die Züge aus, um seinen schwarzen Gegenüber von der Stellung fernzuhalten. 49. a5 a6 50. Kd4 Kd6 51. c4 c5+! 52. Ke4 Ke6 Fantastisch! Dem Weißen sind nun gänzlich die Züge ausgegangen. Das Bauernendspiel ist noch immer verloren: 53. Txf3 Txf3+ 54. Kxf3 Kf5! 55. Ke3 Ke5! 56. Kd3 Kf4! 57. Kc3 Ke4 58. Kc2 Kd4! 59. Kb3 Kd3! und Schwarz gewinnt. Das alles musste Michael sehen. Solljarov mied das Bauernendspiel, aber nach 53. Kd3 Ke5 54. Ke3 Tf8! gab er auf. Das entscheidende Eindringen des Königs ist nicht mehr zu verhinden, z.B. 55. Kd2 Kf4 56. Kd3 Kg3 und der Freibauer ist nicht mehr aufzuhalten. 0-1

Seinen Meister fand Michael in der 5. Runde im späteren Turniersieger Lukas Vondra, der ihn in einem sechsstündigen Marathon schließlich niederringen konnte. Dennoch erreichte Michael mit einem weiteren Sieg und drei Remisen einen starken 8. Platz.

Unterdessen schlich sich still und leise Julia von den unteren Rängen heran. Nach zwei Remisen zum Auftakt brachte ihr die Auslosung oft schwächere Gegner ein, sodass sie mit einem Sieg nach dem anderen Boden auf Michael und die restliche Spitze gutmachen konnte. Auch sie scheiterte aber schließlich an Vondra, wurde mit dem gleichen Ergebnis wie Michael (6,5/9) aber immerhin Zweitbeste der Frauen und darf sich jetzt über ein Taktikbuch freuen.

In der B-Gruppe entdeckte Miguel zum ersten Mal die Vorzüge der Eröffnungstheorie für sich. Wohl zum ersten Mal in seinem Leben hatte er nach 15 Zügen eine halbe Stunde mehr Bedenkzeit auf der Uhr als sein Gegner. Insgesamt kam er auf 5,5/9 Punkte – genau wie Philippe. Die beiden sind damit die stärksten Wilkauer des B-Turniers.

Alle Ergebnisse können hier nachgelesen werden.

Ein Novum erlebte ich übrigens auf der Heimfahrt... zum ersten Mal schaffte ich es aus Tschechien zurück ohne mich gänzlich zu verfahren – wie immer in einem Auto voller Zombies, denen man die zu lange letzte Nacht deutlich anmerkte… einige Dinge ändern sich eben nie.

mb

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