Pardubice 2006

21.07.2006

Liebes Tagebuch,

habe ich dir heute schon gesagt, dass ich dich lieb habe? Ich bin froh, es dir doch noch einmal offenbaren zu können. Denn eine Zeit lang sah es eher so aus, als würde die gähnende Leere des tschechischen Straßennetzes uns verschlingen und nicht mehr preisgeben. Grauenhafte Straßenbedingungen, fehlende Straßenschilder und vor allen Dingen unser gekonnter Umgang mit einem tschechischen Straßenatlas ließen eine Reise, die geradewegs nach Pardubice gehen sollte, zu einer Rundfahrt durch die gesamte Tschechische Republik werden. Unsere Reiseroute auf einer Karte rot nachzuzeichnen wäre ein abendfüllendes Programm. Wenn ich dann unsere Hotelsuche innerhalb der Stadt noch nachempfinden wöllte, bei der wir wirklich jede noch so kleine Seitenstraße Pardubices kennen lernen durften, dann müsste ich vorher wohl sogar noch ein Malkurs für Fortgeschrittene belegen.

Doch genug des Lamentierens. Nach nur 7 Stunden Anfahrt waren wir ja schließlich doch angekommen ... und nach weiteren anderthalb Stunden konnten wir auch endlich unser Hotel betreten. Die Zimmer hier sind ordentlich eingerichtet und das Essen wird - so will ich hoffen - sicher auch in Ordnung sein.


Ordentliche Zimmer mit Betten, Tisch und Miguel serienmäßig

Zum Abendbrot sind wir eine Stunde vor Mitternacht nochmal mit beinahe der gesamten Belegschaft ausgezogen und mussten uns mit Händen und Füßen verständigen, um noch ein Lokal zu finden, das 14 hungrigen Personen um diese Zeit noch ein Essen kocht. Anscheinend hatten aber unsere Irrfahrten bis dato unsere Suchstrategien gut genug geschult, um selbst so einer Aufgabe gewachsen zu sein.
Hohe Anerkennung durfte ich dann von den Kellnerinnen erfahren: Wenn ich bisher immer gedachte hatte, dass ich mit 21 langsam alt werde und auch demgemäß aussehe, so bin ich eines Besseren belehrt worden: Offenbar sehe ich jung genug aus, um noch immer meinen Ausweis vorzeigen zu müssen, wenn ich einen tschechischen Hopfensaft trinken möchte.

Sei es drum... Morgen startet die erste Runde des Turniers, sodass die meisten sehr früh zu Bett gingen ... früh am Morgen!

22.07.2006

Es gibt Stille, die mehr auszudrücken vermag, als 1000 Worte; Stille, die lauter ist als jeder Schrei und noch beunruhigender als die Hunde, die täglich von 6 bis 8 Uhr ein Bellkonzert vor unserem Zimmer veranstalten.

Eine solche Stille ist die Stille am Schachbrett. Das ist die Spannung, die bei jeder Partie in der Luft liegt: Zwei Menschen sitzen sich so nahe von Angesicht zu Angesicht gegenüber und sind sich doch so fern. Nicht ein Wort wird gewechselt und dennoch sagt man sich so viel, wenn man brachial den Turm im Bauernheer opfert oder einfach nur zärtlich den Läufer beim Ziehen streichelt.

Eine weitere Stille dieser Art ist die Stille der Übernächtigung. Eben die Stille heute Morgen am Frühstückstisch, bei der sich jeder - nichts sagend - mit psychopathischen Blicken zu suggerieren versucht, dass er oder sie 1. noch nicht ganz im Reich der wachen Menschen angekommen ist, 2. jeden Moment mit dem Gesicht in die Müslischüssel fällt und 3. den viel zu kalten Instantkaffee verabscheuenswert findet.


Herr Klemm, David und Marco am Frühstückstisch

Allerdings sollte uns auch die unangenehme Spannung auf den 64 Feldern nicht erspart bleiben. Nach einem morgendlichen Trip zum gut 2 Kilometer entfernten Spiellokal, um unsere Anmeldung zu bezahlen und Geld zu tauschen, durften wir am Nachmittag dann endlich inmitten der großen Pardubicer Eishalle Platz nehmen, um etwas zwischenmenchlische Kälte zu verbreiten.

Die Eishalle von Pardubice. Hier fanden die Turniere A, B1 und B2 statt. C- und D-Turnier wurden im 1km entfernten IDEON-Gebäude gespielt.

Mir persönlich war es vergönnt, die Partie mit einer schönen Kombination zu beenden, nachdem mein Gegner in eine eigentlich nicht zu komplizierte, aber trotzdem schöne Falle getappt war.

Stephan war gegen Christian Hörr von König Plauen angesetzt worden, doch aus dem erhofften schnellen Friedensschluss wurde nichts. Über dreieinhalb Stunden hinweg musste die Punkteteilung ausgefochten werden. Petra gewann eine sehr verwickelte Partie nach hartem Kampf, doch damit enden schon fast die guten Nachrichten. Ihr Sohn Michael stellte frühzeitig eine Figur ein, konnte sich aber retten. Trotz vielzähliger Gelegenheiten die Mehrfigur sicher zum Sieg zu führen konnte sein Gegner den Vorteil nicht verwerten. Fritz weinte regelrecht bei der heimischen Analyse, als er mit wild schwankendem Bewertungsprofil auf dutzende verpasste Chancen hinwies. Glück für Michael. Anja und Kay hatten davon allerdings nichts: Sie verloren ihre Partien.

Im C- und D-Open, die in einem anderen Gebäude unweit unseres Hotels stattfinden, war uns ebenso nur bescheidener Erfolg beschienen: Miguel gewann zwar seine Partie und Erik holte mit Schwarz einen halben Punkte, doch für alle anderen verlief es ärgerlich: David konnte einen Figurenvorteil nicht zum vollen Zähler verwerten, Michael der Jüngere, Julia, Marco, Silvia verloren sogar.

25.07.2006.

Die Lage wird langsam kritisch. Das Schachturnier raubt sehr viel Kraft und die anhaltende Hitze von über 30°C, die selbst ein kurzer Regenschauer vorgestern nicht mindern konnte, tut ihr Übriges. Einige suchen ihre Abkühlung im Bad, andere bei einem großen Glas Bier in einer der zahlreichen Gaststätten der Stadt. Die Idee, das schöne Wetter für eine Runde Fußball auszunutzen, konnte ich indes nicht gutheißen. Ein Schlag auf die Nase, abgezogene Haut an den Füßen und zahlreiche weitere Blessuren an Beinen, Armen und Rücken erinnern mich beim alltäglichen Humpeln zum Spiellokal immer wieder daran, warum ich zum friedlichen Denksport gewechselt bin.

Von eben jenem, dem Schach, gab es in den letzten Tagen mehr als genug. Drei Runden in zwei Tagen lassen einen Haufen Material zurück zum Analysieren. Zum Glück gibt es Laptops, die einem selbst die schönsten Partien sofort widerlegen.


Neben Schach gab es übrigens noch eine Reihe weiterer Spiele: Poker, Go, Scrabble, Sudoku oder diese komischen bunten Würfel, die mir bis heute ein Rätsel sind.

Viel Glück hatte Stephan gestern, als seine Gegnerin in sehr guter Stellung der Meinung war, schon 40 Züge erreicht zu haben und bei der großen Rechenoperation am Gewinnweg Blättchenfall zuließ. Damit ist Stephan jetzt mit 3/4 Punkten der beste Wilkauer im B2-Turnier, während Miguel mit derselben Punktzahl im C-Turnier zumindest vereinsintern führt.

Verschleißerscheinungen sind allerdings bei allen schon spürbar. Mittlerweile ist es 10:20 Uhr am Morgen und allein die ehrgeizige Familie Schulz sowie Silvia und Marco waren beim Frühstück heute anzutreffen. Miguel wälzt sich noch schlafend im Bette hinter mir und auch aus den anderen Zimmern ließ sich noch nichts hören außer ein paar seichten Grunz- und Schnarchgeräuschen.


Petra gehörte zu den wenigen, die vormittags wach genug waren, sich vorzubereiten

Komplettiert wird diese Geräuchkulisse durch kläffende Hunde und wieherende Pferde vom Tierarzt nebenan sowie dem permanenten Sirenengeheule vorbeifahrender Polizeiutos. So langsam machen wir uns Sorgen, nicht vorher die Mord- und Kriminalitätsrate dieser Stadt eingeholt zu haben ... andererseits kommt auch schon der Verdacht auf, dass da nur jemand schnell Brötchen holen will, ohne immer an der Ampel halten zu müssen.

27.07.2006

Eine neue Episode aus der Hitzeschlacht von Pardubice: Obwohl die A- und B-Turniere in einer Eishalle stattfinden, kommt man sich eher wie in einer Sauna vor. Oswald Bindrich brachte am Dienstag ein Thermometer mit ins Spiellokal, wo bereits zu Beginn der Runde, 15.00 Uhr, satte 28° herrschten. 15.15 Uhr stieg das Quecksilber auf 29°; 15.30 Uhr erreichte es die 30°-Marke; 16.00 Uhr gab er beim Stand von 32° auf, wahrscheinlich hatte er Angst, das Thermometer könne noch platzen.

Die Hitze blieb deutlich fühlbar und war für jeden belastend. Ich selbst verschlang gut 6 Liter Wasser während meiner Partie am Dienstag. Aber immerhin: Ich hab gewonnen. Und das gegen einen Italiener - 2:0 nach Verlängerung. Diesen flachen Witz durfte sich absolut jeder hier im Hotel wenigstens einmal anhören, die meisten bekamen ihn doppelt und dreifach ab.


Neben Wasser gab es natürlich auch noch andere Erfrischungsgetränke. Erik probiert hier von einem beliebten tschechischen Getränk, das Pivo genannt wurde

Mitten in die Dienstagspartien schob sich außerdem ein Stromausfall, der es für 20 Minuten dunkel werden ließ. Für viele ein Grund, Remis anzubieten oder "Berührt, geführt!" zu rufen, wenn man den Gegner beim Abtasten der Stellung erwischte. Trotz der Bitte, die Uhren zu stoppen, einigte sich Kay mit seinem Gegner auf Weiterspielen. Bei aller Hitze und Ungemach blieb sein Gegenüber auf dem höchsten Level der Coolness und spielte selbst bei nächtlichen Lichtverhältnissen noch mit Sonnenbrille. Möglicherweise war das dann auch der Grund, warum Kay einen vollen Punkt mitnahm.

Stephan verlor an jenem Tage gegen einen Russen und musste damit alle Träume seiner FM-Norm begraben. Gestern wurde er im Kochtopf von Pardubice dann über 6 Stunden hinweg gequält. Mit einer Mehrfigur für eine Reihe von Bauern schwankte die Einschätzung der Stellung bis zum Ende mehrmals von klar gewonnen hinüber zu höchstwahrscheinlich verloren und zurück. Mit 2 Minuten, die ihm noch auf der Uhr verblieben, blitzte er sich schließlich durchs Turmendspiel und hielt erfolgreich einen halben Zähler fest.

Der hohe Flüssigkeitsverbrauch zog es natürlich auch nach sich, dass man das Wasser irgendwie wieder los werden musste... und wer es nicht gänzlich ausschwitzen konnte, dem blieb der Gang zum Lokus kaum erspart. Entsprechend überfüllt sahen dann auch die Toiletten aus. Das wahre Problem ergab sich aber erst dann, wenn die Bedürfnisse über das hinausgingen, was man als Mann noch im Stehen bewältigen kann. Denn die öffentlichen Toiletten der Czec Arena waren so öffentlich, dass man noch nicht einmal auf dem Klo seine Privatsphäre fand. Aufgrund der unverschließbaren Türen sah sich die Besucherschaft des Sanitärbereiches also gezwungen, das Gesicht gegen die warmen, wohlriechenden Bodenfliesen zu drücken und die Toiletten nach Füßen abzusuchen - sehr zum Leidwesen der Pocketfritznutzer, denn inkorrekte Fußhaltung fällt da sofort auf. Auch die Klopapierversorgung ist sehr zentralistisch geregelt. Man nimmt sich einfach etwas von einer großen Rolle am Eingang mit, bevor man sich in die lange Schlange schwitzender Schachspieler mit dem Wunsch nach Erleichterung einreihte. Ein verrücktes Land!

30.07.2006

Unglücklicherweise bin ich in den letzten Tagen kaum dazu gekommen, alle Geschehnisse niederzuschreiben. Zwischen Schachspielen, Essen und Biervernichtung bleibt leider nur wenig Zeit für mein kleines Tagebüchlein. Jetzt allerdings, zwischen Migu und David auf dem Rücksitz von Frau Klemms Auto, soll das alles nachgeholt werden.

Als ich am Mittwoch gegen den Plauener Jochen Bandt antrat, hatte ich nicht nur wegen eines verpassten Figurengewinns und einer verlorenen Partie Grund zum Missmut. An diesem Tag wurde das Turnier von einem Todesfall überschattet, über den ich bis heute nur ein paar grobe Einzelheiten weiß: Anscheinend war eine Turnierteilnehmerin aus England gestorben, nachdem - wie man sich erzählt - sie aus dem 7. Stockwerk ihres Hotels gefallen war. Für sie wurde eine Schweigeminute zu Beginn der Mittwochspartien eingelegt - eine der typischen Schweigeminuten, die man nach 10 Sekunden schon wieder abbricht ...

Unsere Wilkauer Spieler sind zum Glück noch alle unversehrt. Abgesehenen von ein paar Blessuren vom Fußballspielen und mittelschweren Übermüdungserscheinungen, die der ein oder andere zu erleiden hat, sind wir alle wohlauf in die drei Autos der Familien Schulz, Völz und Klemm verfrachtet und gerade auf dem Weg nach Hause.

Das Wetter ist noch immer wunderbar. Es war die ganze Woche über fast schon zu wunderbar. Bei zunehmender Hitze und fortschreitendem Turnierverlauf ging somit doch die Remiswilligkeit merklich nach oben. Als ich in der letzten Runde nach nur einer halben Stunde mit einem zehnzügigen Kurzremis zum Schiedsrichter ging und glücklich war, zu den ersten zu gehören, für die das Turnier endlich vorbei ist, musste ich voller Entsetzen feststellen, dass der Stapel mit unterschriebenen Partieformularen bereits eine beachtliche Größe erreicht hatte und die Halle schon fast halbleer war. Umso voller waren dafür die Biergläser, die man im Schlaraffenland Tschechien noch günstiger als Cola bekommt. Ein Grund mehr, sich dem tiefen, inneren Wunsch nach schneller Punkteteilung ehrgeizlos zu ergeben.

Für mich kam es in diesem Zusammenhang zu einer kleinen Kuriosität. Nachdem ich schon dem Plauener Jochen Bandt in der 6. Runde gegenübertreten musste, traf ich in den Runden 7 und 8 auch noch auf die eigenen Vereinskameraden. Dass sich gegen Kay und Michael dabei nur Remisen ergaben, sei hier mal als Zufall dargestellt.


Michael gegen Markus - Eine spannende Partie, die letztlich doch nur Remis endete. Um uns herum verschwimmt bereits die gesamte Umgebung in der brütenden Hitze von Pardubice

Das beste B2-Turnier von uns allen spielte wohl Stephan. Er konnte den guten 4½ Punkten, mit denen er bereits in die letzte Runde gestartet war, noch einen weiteren Zähler mit den schwarzen Steinen hinzufügen, als ihn seine Gegnerin in seiner Stammverteidigung vergeblich herausforderte. Petra beendete das Turnier ebenfalls mit einer positiven Bilanz von 5/9, nachdem sie Theresa Reh aus Plauen in der letzten Runde besiegen konnte. Hervorzuheben ist sicher auch das Resultat Eriks, der mit 5½ Punkten als 73. im D-Turnier abschloss. Julia und Marco waren mit guten 5 Punkten knapp dahinter. Insgesamt glaube ich nicht, dass irgendjemand mit seinem Resultat unzufrieden sein muss:

B2-Turnier
Stephan Völz 5½
Petra Schulz 5
Markus Bindig 4½
Michael Schulz 4½
Kay Schaarschmidt 4½
Anja Schulz 3

C-Turnier
Miguel Rivera Boris 4½
David Klemm 4½
Michael Völz 4

D-Turnier
Erik Baumann 5½
Julia Demmler 5
Marco Baumann 5
Silvia Bloß 4

Ich habe die Punktzahlen hier nur kurz und knapp aufgelistet. Ausführliche Ergebnisse stehen von Seiten unserer Vereinsseite bereit. Weitere Informationen gibt es auch auf der offiziellen Webseite der Czech Tour.

Im Rückblick auf das Turnier möchte ich niemandem seine persönliche Einschätzung vorwegnehmen, aber von meinem Blickpunkt aus kann jeder zufrieden sein, allein schon des Spaßes wegen, den Pardubice mit sich brachte. Anja erfüllte ihre zweite Halbnorm und steigt nun mit etwa 1850 ELO ein, ich selbst und Stephan erreichten gleich auf Anhieb eine Vollnorm. Während meine dabei bei etwa 2014 liegt, steigt Stephan gleich mit grandiosen 2075 ein. Herzlichen Glückwunsch zu dem starken Turnier!


Alle Wilkauer Spieler in Pardubice

Exkurs: Exkursion in Pardubice

Neben billigem, guten Bier und einer Menge Schach hatte Pardubice natürlich auch noch eine sehr schöne Stadt zu bieten. Deshalb möchte ich mit ein paar Bildern der Elbstadt abschließen, die ich von Familie Schulz und Familie Klemm bekommen habe. Damit wird es sicher verständlich, dass dies nicht unsere letzte Reise zur Czech Tour gewesen sein soll.

Markus Bindig


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